HOME
ABOUT MELATI
MELATI WORKS
CONTACT MELATI
Title

| optimized for Safari | Last update:oct 2013 | © 2006 Melati SURYODARMO

 

 

 

 

 

 

 

 

 

CV

Bibliography

TEXT

Nothing to lose by Cristina Sanchez-Kozyreva 2013

Alienation and Vagueness by Hendro Wiyanto 2012

Melati Suryodarmo by Adeline Ooi 2008

Melati's Promising Challenges by Emanuela Nobile Mino 2006

Imagine that Every Woman is a Country by Johanna Householder 2006

Bilder fallen by Boris Nieslony 2006

BILDER FALLEN

by Boris Nieslony


Bilder fallen. Sie fallen nicht schnell, sie sind in der Dauer und stetig und sie fallen an den Ort wo sie sich Entfalten. An den Ort des Wirkens. Bilder entfalten einen Strom von Emotionen und sie öffnen ganze Kaskaden von Gefühlen wie sie sich auch sprachlich entfalten. Sie, die Sätze, die aus den Bildern entfalteten Worte, liegen schwer im Magen. Die Worte bleiben einem im Halse stecken. Sie sind beklemmend, schnüren einem die Luft ab.
Es ist nicht viel von Nöten. Eine eiserne Grundfläche, ca. 1m x 1m, einige Päckchen, aus der Verpackung gelöste Butter und ein Tanz, nicht zu schnell, eher wiegend und von dem Rhythmus einer Musik geleitet.
Dann die Falle.
Eine schmierige Falle. Die Tänzerin fällt, muß fallen. Befreiend, auch etwas hämisch, auch etwas Komik spielt und noch etwas: „es ist doch klar, da muß man doch fallen, hat man schon vorher gewusst“. Kulturelle Selbstgefälligkeit.
Doch, sie erhebt sich, tanzt weiter, fällt, steht auf, tanzt, fällt, erhebt sich wieder, bewegt sich im Takt und tanzt , und fällt...
Es kommt etwas entscheidendes zum Tragen. Das stetige Fallen findet nicht am harten Boden sein Ende, das Fallen fällt jetzt tiefer und tiefer, es fällt an dem Ort der Wirksamkeit, wandelt sich zu dem „Bild in der Entfaltung“, die weit über das Bild des ersten Eindrucks, die Oberfläche, hinausgeht.. Dieser Ort ist öffnend, dieses Bild öffnet und entfaltet bei jedem Zuschauenden, bei jedem Zu-Sehenden, den Schmerz in der Magengrube, die Beklemmung in der Luftröhre, nimmt einem den Atem. Physisch greift das Bild in die Psyche und lässt keine Position der Distanz zu.
Das Bild ist wirkend. Die sezierende Untersuchung am lebenden, kulturellen Körper einer sich mehr oder weniger zufällig eingefundenen Gemeinschaft.
Tragend wurde die Dauer, die Wiederholung, das Stetige in diesem „Bild mittels einer Handlung“, das Tragende ist das Fallen in der Dauer. Die paradoxe Kraft der Bilder. Lakonisch die Wahl des Material, die Entscheidung für das Tun, ja gräßlich lakonisch ist diese Falle.*
Bilder ruhen. M. Suryodarmo sitzt auf dem Boden. Ihre Haupthaare, künstlich verlängert zu einem extrem langen Zopf, etwa 11m in der Länge, der sich dann von ihr weg nach vorne schlängelnd auch auf dem Boden ruht. In ihren Armen ruht, liegt schwer eine vollständige Rinderleber. Ein stilles Bild, ein ruhendes Bild, doch die Leber ist schwer, wiegt, glitschig und schleimig, formlos will sie ihr aus den Armen rutschen.
Die Falle
Einfassen, umgreifen, festhalten, immer wieder dem Sog des Entgleitens widerstehen und nachfassen. Auch dieses Bild gleitet in eine andere Tiefe, nicht fallend, nicht stürzend aber in dieser Stetigkeit, in der Dauer wird Zeit geformt, wird sie schmerzhaft gedehnt, entfaltet sich in dem Entziehen und dem Festhalten das Zärtlich-Vergebliche.
Die Leber. Die Wahl des Materials „Leber“.
Bilder, die durch ihren kulturellen Hintergrund überlastet sind in der Deutung, können meines Erachtens nicht gelesen, nicht erfahren werden, sondern nur kybernetisch als Information übermittelt werden. Nützt es mir zu wissen, welche Bedeutung die Leber in Bali hat ? Nützt es mir in dem Moment des sehenden Erkennens, welche Rolle die Leber in der Geschichte oder Mythologie einer spezifischen Kultur hat oder hatte ? Ich denke erst mal nicht. Dieses Wissen kann für die beschreibende, erzählende Deutung von Nutzen sein.
Doch in der Wahrnehmung des Geschehenden, die Teilnahme an einem gerade geschaffenem Bild, in der Art und Weise wie ein Bild erzeugt, wie dem Bild der Rahmen des „Sich-Eröffnende“ ermöglicht wird, kommt das zum Tragen, was die Wirkung von Bild ist und dies als kulturbildende Technik mit dem Leib und Körper eines Menschen weltweit. In diesem Sinne wird auch der Ort beschrieben, wo die Wirkung zwischen der Person die entfaltet und dem oder die Zu-Sehenden die sich auch entfalten geschieht. Dieser Ort ist in den Menschen und zwischen den Menschen. Dieser Ort ist transkulturell und transnational. An diesem Ort – zwischen den Menschen -geschieht interkulturelle Begegnung.
Einen Hahn jagen. Einen Hahn durch Haus und Hof, durch Menge und Mensch treiben, ihn durch und in die Köpfe der Umherstehenden jagen bis er Bild bleibt und in der Wahrnehmung sein Leben läßt.
Solange es noch solche Bilder gibt, gibt es Mythos.
Die List.
Die List ist, – ganz Wille und ganz Vorstellung – den Mythos als Wirklichkeit zeigen.
Der Trick ist, dem Mythos seine Unbezwinglichkeit zu nehmen, ihm abnehmen die Starre, Oberhand und Überhand nehmen, das Bild wird Realität, das Bild ist Sur-Real.
Einen Hahn durch eine Menschenmenge jagen, die in die Falle tappt die in der List der Bilder liegt, von den Bildern gelegt, die die List des Wirklichen besitzen und in die Erinnerung fallen und in die Zeit legt.
Es sind die Bilder der M. Suryodarmo, die mich einfangen, zum Zeugen machen und es sind ihre Bilder, die mich nicht mehr loslassen. Diese Bilder sind in mir, wirken in der Dauer, festgesetzt in der Zeit und haben mein Sehen erweitert.
Das ist, was von Bildern gefordert werden sollte, egal welches Medium zur Gestaltung genutzt wird. Sie sind das kulturbildende Eigen, das Vermögen in jeder Sichtweise.
*Zum Lesen empfohlen : Daniil Charms “Fälle“


Boris Nieslony

Boris Nieslony
geb.: 02.10.1945
Studium Akademie der Künste in Berlin 1970 - 1976
Studium der Philosophie, Freie Malerei
Seit 1978 Performance, Performancetheorie, Organisation und Intermedia.
ASA-European / Boris Nieslony www.asa.de

Text from: "Loneliness in the Boundaries", Works Catalogue, Melati Suryodarmo; 2006